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Regionaler Sonnenstrom vom Nachbarn

Quelle: Allgäuer Überlandwerk GmbH, Christian Ziegler

Die Regionalversorger Allgäuer Überlandwerk (AÜW) und Energie Südwest setzen mit dem New Yorker Start-up LO3 Energy in ihrem Versorgungsgebiet je ein Projekt um, in dem Privatpersonen auf Basis der Blockchain-Technologie untereinander Sonnenstrom handeln können. Im New Yorker Stadtteil Brooklyn baute LO3 Energy in Kooperation mit dem deutschen Technologiekonzern Siemens ein blockchain-basiertes Microgrid auf. Seit 2016 können hier Besitzer einer Photovoltaik-Anlage Nachbarn mit Sonnenstrom versorgen, ohne dafür einen dazwischengeschalteten Energieversorger oder Zahlungsdienstleister in Anspruch zu nehmen. Diese Erfahrungen sollen nun in den Projekten vom AÜW in Kempten und bei Energie Südwest in einem abgesteckten Areal in Landau genutzt werden.

Flexibler Sonnenstrom für Verbraucher und Erzeuger

„Im ersten Versuch nutzen wir unsere bestehenden Erfahrungen aus dem „Allgäu Microgrid“, welches wir bereits für andere Projekte erfolgreich in Wildpoldsried aufgebaut haben.“, erläutert Michael Lucke, Geschäftsführer AÜW. „Im zweiten Schritt möchten wir den Stromhandel auf unser gesamtes Netzgebiet ausweiten. Denkbar ist dann z.B., dass ein Landwirt aus Niedersonthofen mit einer großen PV-Anlage seinen überschüssigen Strom an einen Mieter in Kempten verkauft, der bis dato keine Möglichkeit hatte, gezielt die regionale Ökostromproduktion zu unterstützen.“ Dabei sollen private Haushalte aus einer Vielzahl verschiedener Lieferanten ihren Strombezug flexibel selbst auswählen und nicht mehr nur Strom von ihrem Energieversorger beziehen können. Stromerzeuger hätten gleichzeitig die Möglichkeit, überschüssig produzierten Strom nicht wie sonst über die EEG Vergütung einfach ins Netz einzuspeisen, sondern an lokale Abnehmer, z.B. den Nachbarn, zu verkaufen, sprich echten Ökostrom direkt aus der Region.

Dezentral und sicher mit Blockchain

Die Transaktionen der bilateralen Handelsgeschäfte können laut Auskunft vom AÜW mittels einer privaten Ethereum-Blockchain dezentral verifiziert und fälschungssicher gespeichert werden. Zum Aufbau der Handelsplattform ist geplant, zunächst zwei bis drei Verbraucher als Pilotkunden und zwei bis drei private Solarstromanlagenbesitzer auszuwählen. Diese werden mit einem Smart Meter ausgestattet, den LO3 Energy speziell für den Nachbarschaftshandel mit integrierter Blockchain entwickelt hat. Eine darauf zugeschnittene App ermöglicht es den Teilnehmern, auf der Plattform untereinander Sonnenstrom mit Hilfe einer s.g. digitalen Währung zu handeln. Die hierfür genutzte Ethereum-Blockchain basiert auf Smart Contacts. Für diese digitalen selbstausführenden Verträge können die Pilotkunden Präferenzen angeben: wie sich ihr Strommix aus lokalen Erzeugungsanlagen zusammensetzt. Das Vorhaben zwischen AÜW und LO3 Energy ist Teil eines dreijährigen Versuchsprojektes, welches sich gerade in der Planung befindet und im ersten Quartal 2018 starten soll.

Mehr Akzeptanz vor Ort

Im Landauer Lazarettgarten bauen LO3 Energy, das Karlsruher Institut für Technologie KIT und Energie Südwest ein Inselnetz für einen Feldversuch zum Nachbarschaftshandel mit Sonnenstrom. Über den Start dieses Landau Microgrid Project (LAMP) informierte kürzlich im Oktober das KIT. Professor Christof Weinhardt vom Institut für Informationswirtschaft und Marketing am KIT plädiert dafür, Energiemärkte regional zu organisieren, da dadurch die Akzeptanz für „das Aufstellen von Windrädern, Solarkollektoren und Blockheizkraftwerken enorm zunimmt, wenn die Menschen vor Ort in den Energiehandel einbezogen werden.“ Im Feldversuch sollen Privatpersonen, Institutionen oder Unternehmen nicht nur mit der eigenen Solaranlage Strom produzieren, sondern diesen auch selbst verkaufen. Bewohner eines Dorfes könnten den Sonnenstrom vom Dach ihrer Kirche oder der Sporthalle beziehen und würden damit die Energiewende und das Gemeindeleben unterstützen. „Aus einer dezentralen Netzstruktur und lokalem Stromhandel ergeben sich viele Vorteile“, ist Weinhardt überzeugt. „Da sind die eingesparten Kosten für den Stromtransport und eine größere Resilienz gegenüber Störungen oder terroristischen Attacken. Außerdem könnte der umstrittene Ausbau der Stromtrassen reduziert werden.“

Strommarkt für 20 Privathaushalte

Ob solche regionalen Strommärkte auch in der Praxis funktionieren, sollen bis zu 20 Privathaushalte in Landau mit einem eigenen Strommarkt testen. „Zum ersten Mal werden dann Endverbraucher in Deutschland darüber bestimmen, woher ihr Strom kommt“, betont die Wirtschaftsingenieurin Esther Marie Mengelkamp, die den Versuchsaufbau als Projektleiterin am KIT gestaltet hat. „Bisher bestimmen Netzbetreiber darüber, welcher Strom fließt. So werden für einen grünen Stromtarif oft lediglich Wasserkraftwerke in Skandinavien zertifiziert, während der Strom vor Ort tatsächlich im nächsten Atom- oder Kohlekraftwerk produziert wird.“ Die beim Handel eingesetzte Plattform basiert auf der Blockchain-Technologie, wodurch Herkunft und Besitzer der verfügbaren Energie zu jedem Zeitpunkt eindeutig identifizierbar bleiben. Der Aufwand für die Teilnehmer der Simulation bleibt dabei überschaubar: Zunächst erfolgt der Einbau eines Smart Meters, anschließend wird mittels eines mobilen Endgeräts konfiguriert, woher Strom bezogen oder zu welchem Preis eigener Strom verkauft werden soll. Bis sich die eigenen Präferenzen ändern, funktioniert der Handel dann vollautomatisch. Die Projekte vom AÜW und Energie Südwest stehen in enger Abstimmung. Die Beteiligten wollen die verschiedenen Erkenntnisse untereinander austauschen und voneinander lernen.

Studie mit mehr Beispielen

Die aktuelle Studie Blockchain in der Energiewirtschaft zeigt anhand konkreter Beispiele, wo in der Energiewirtschaft Blockchain-Anwendungen bereits im Einsatz sind. Erstellt hat sie der BDEW in enger Zusammenarbeit mit Prof. Jens Strüker, dem Geschäftsführer des Instituts für Energiewirtschaft INEWI an der Hochschule Fresenius. Die Studie ist das Ergebnis aus zahlreichen Experteninterviews. „Die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, den Datenaustausch im zunehmend dezentralen Energiesystem zu erleichtern und Prozesse zu beschleunigen. Sie ermöglicht einen effizienten, transparenten und sicheren Austausch von Informationen. Das eröffnet den Unternehmen neue Möglichkeiten zum Beispiel für die Optimierung von Prozessen im Strom- und Gasgroßhandel, für die Ladeinfrastruktur und Bezahlsysteme in der Elektromobilität oder auch die Zertifizierung von Energieprodukten“, heißt es beim BDEW am 25. Oktober 2017 zur Veröffentlichung der Studie. Doch für einen endgültigen Durchbruch der Technologie im Energiesektor müssten noch technische und rechtliche Rahmenbedingungen geklärt werden.

Hohes Entwicklungstempo

„Das Energiesystem wird immer dezentraler, komplexer und vernetzter. Es ist daher richtig, alle Optionen auszuloten, die den Datenaustausch zwischen Erzeugungsanlagen, Netzen und Speichern erleichtern können. Die Blockchain-Technologie eröffnet ein weites Feld für Innovationen und neue Geschäftsmodelle. Und das direkt vor unserer Haustür: Deutschland ist einer der Hotspots für Blockchain-Anwendungen in der Energiewirtschaft“, sagt Stefan Kapferer, Vorsitzender der BDEW-Hauptgeschäftsführung. „Viele Anwendungen in der Energiewirtschaft lassen sich bereits mit heutigen Blockchains umsetzen. Da das Entwicklungstempo sehr hoch ist, werden in absehbarer Zeit Blockchain-Technologien verfügbar sein, die auch höchste Anforderungen bezüglich Geschwindigkeit und Energieverbrauch erfüllen“, fügt Strüker hinzu. Ergänzend zur Studie geben der BDEW und das Beratungsunternehmen PwC in ihrem Blockchain-Radar Energie & Mobilität einen Überblick aktueller Akteure und Anwendungen im Bereich Blockchain in der Energiewirtschaft.

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