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Moskaus Gaskalkül

Der Gasspeicher Haibach liegt nördlich von Salzburg.
Bildquelle: astora

Für den Gasmangel in Europa führen Experten Ursachen wie den niedrigen Füllstand europäischer Gasspeicher nach dem kalten Winter 2020-2021, die bevorzugte Belieferung Asiens, monatelange Windflaute, Reparaturen an norwegischen Gasleitungen oder mehr Gasbedarf zur Stromerzeugung ins Feld. Zugleich scheint einigen klar zu sein, dass Moskau an der Gaspreisschraube dreht.

Bei Focus Online lautet die Frage: „Besteht also eine wesentliche Ursache für den jetzigen Gasmangel darin, dass Gazprom den europäischen Börsenhandel regelrecht boykottiert, dass der Kreml die Gunst der Stunde nutzt und den Spotmarkt in der EU gezielt austrocknen lässt, um dadurch zu diskreditieren? Ist das Moskaus Kalkül?“

Die Antwort von Focus lautet: „Wer Putin bei der Auftaktveranstaltung der Energiewoche aufmerksam zugehört hat, dem war klar, dass die Meldungen, Russland wolle jetzt seine Gaslieferungen nach Europa erhöhen, vorschnell abgesetzt wurden. Der Kremlchef sprach nicht vom europäischen (Spot)Markt, er meinte ausdrücklich „unsere Partner“. Soll heißen: Auf zusätzliches Gas können nur die Unterzeichner von Langfristverträgen hoffen. Das ist schon kein Werbefeldzug mehr, das sieht eher nach Druck aus.“

Wer steht jetzt unter Druck? Langzeitverträge sind aus russischer Sicht durchaus ein Instrument, um langfristige Investitionen in Exploration und Infrastruktur kalkulieren und refinanzieren zu können. Das Gas kommt nicht wie Strom aus der Steckdose. Die Kette vom Vorkommen bis zum Blockheizkraftwerk in einer Kommune in Deutschland durchläuft mehrere Stufen.

Die Lage der Gasquelle und der Transportweg spielen in Kostenberechnungen eine Rolle. Dass Deutschland und europäische Nachbarn nicht erst seit Corona weniger russisches Gas bezogen, bleibt in der Diskussion zumeist außen vor. Ein Blick in den letzten Geschäftsbericht des russisches Gaskonzerns Gazprom zeigt, dass  seit dem Rekordjahr 2017 die Lieferungen rückläufig waren. Besonders gravierend war der Rückgang 2019.

Die Gazprom-Gruppe verkaufte 2019 an Deutschland 44,9 Milliarden Kubikmeter Gas.  In den Vorjahren waren es im Schnitt gute 60 Milliarden Kubikmeter Gas. Die Halbjahresergebnisse für das laufende Jahr deuten darauf hin, dass Deutschland die Menge von 2019 überschreiten wird.

Der Börsenhandel war und ist für Gazprom seither ein Sonderposten. Die dort gehandelten Mengen waren nur ein kleiner Teil vom großen Exportgeschäft über Langzeitverträge für Pipeline-Gas. Haben sich hier die Preise verdreifacht, sind Future-Preise an europäischen Gashubs mit über 1000 US-Dollar je 1000 Kubikmeter Gas dreimal höher. Würde Gazprom in großem Stil dabei mitmischen, ließe sich das Kalkül ziehen, dass der Gasmonopolist an der Preisschraube dreht.

Wer an Abhängigkeit von Russland denkt, vergißt leicht, wie abhängig Russland von seinem Hauptmarkt Europa ist, zumal Gasleitungen nicht so flexibel sind wie Flüssiggastanker. Bei ihnen reicht eine Kurskorrektur, damit sie lukrative Märkte in Asien ansteuern. China ist nicht nur beim Erdgas ein maßgeblicher Faktor. Dieser Wirtschaftsmotor stockt, weil der Energiebedarf immens ist. LNG aus den USA ist da mehr als willkommen.